Wir und unsere Geschichten

Vielleicht kennst du das ja, eine Freundin (oder jemand der dir nahe steht) sagt oder tut etwas, was dich verletzt. Es tut weh, vielleicht sehr weh. Doch was genau tut so weh? Ist es unsere Ent-täuschung, dass der Mensch doch anders denkt und tickt als wir annahmen oder dass wir uns nicht mehr geliebt fühlen, gebraucht und wertvoll?

Meist reflektieren wir das gar nicht, sondern reagieren. Frei nach den Motto, du hast mich verletzt, jetzt verletz ich dich auch oder wir ziehen uns beleidigt zurück. Meist machen wir dann aus dem Vorfall eine Geschichte und nun beginnt das Drama erst richtig.

Die Geschichte

In dieser Geschichte sind wir das Opfer, missverstanden, von der Welt unfair behandelt …
Und diese Geschichte erzählen wir uns dann immer und immer wieder.

Die Wunde, die uns geschlagen wurde, darf nicht heilen. Jedes Mal wenn wir uns selbst oder jemand anderen die Geschichte erzählen, reißen wir sie wieder auf, bohren darin, streuen Salz rein – und leiden. Die Wunde beginnt zu schwären, sie schmerzt nun ständig. Das Ganze hat eine Eigendynamik angenommen.

Opfer oder Täter?

Wir machen der Freundin Vorwürfe, wie schlecht sie uns doch behandelt hat, wie sehr wir ihretwegen leiden. Immer wieder bringen wir die Geschichte aufs Tapet …  bis sie irgendwann geht.

Denn wer will schon mit jemand zusammensein, der einem ständig zu verstehen gibt, „du bist nicht ok“, der keine Entschuldigung gelten lässt und lieber leidet als verzeiht.

Wir wurden von der Freundin verletzt, doch WIR selbst verletzen uns immer und immer wieder – jedes Mal wenn wir uns und anderen die Geschichte erzählen.

Die Grenzen verschwimmen. Wer ist jetzt Opfer und wer Täter?

Die Erkenntnis

Wir alle neigen dazu unsere Mitmenschen so zu sehen, wie wir sie gerne sehen möchten, nicht wie sie sind. Und wenn sie sich dann nicht so verhalten, sind wir enttäuscht. Doch nicht sie haben uns getäuscht, sondern wir uns selbst.

Vielleicht haben sie uns einmal verletzt, doch die Geschichte, die wir daraus gemacht haben und uns und anderen erzählen, verletzt uns immer und immer wieder.

Schade ist nur, dass wir die Energie, die wir darauf verwenden uns selbst weh zu tun, nicht für etwas Sinnvolleres nutzen.

Was wären wir ohne unsere Geschichte?

Möglichkeiten

Interessant ist, dass wir die Sache auch einfach fallen lassen und die Wunde heilen lassen könnten. Dann wäre die in dieser Geschichte gebundene Energie frei und wir könnten sie für etwas anderes verwenden, wie z.Bsp. uns das Leben zu erschaffen, das wir gerne hätten.

Ohne unsere Geschichte, würden wir vielleicht erkennen, wie wichtig uns die Freundin noch ist. Frei von unserer eigenen Täuschung oder Projektion auf die Person, könnte etwas Neues entstehen. Wir könnten einander neu kennenlernen.

Oder wir ziehen die Konsequenzen aus dem Vorfall und gehen getrennte Wege – in Frieden. Doch auch dann wären wir wieder frei und offen für Neues, Schönes, das sich zeigen darf.

Freundschaft

Wir alle haben Ecken und Kanten, Macken und Eigenheiten – keiner ist perfekt – und das ist gut so.
Denn es sind genau unsere kleinen Eigenheiten, die uns wertvoll machen. Jeder von uns bringt dieser Welt ein anderes Geschenk mit, mit seinem So-sein.

Und ein Freund bzw. eine Freundin sind Wegbegleiter, jemand der vieles an dir wahrnimmt, deine Stärken und deine Schwächen sieht, eben das ganze Paket, das dich ausmacht und dich so annimmt wie du bist. Ist es nicht genau das, was wir uns alle wünschen, mit jemanden zusammen zu sein, der uns so annehmen und akzeptieren kann wie wir sind. Und damit einen Raum schafft, wo wir uns nicht verbiegen müssen, sagen dürfen, was wir denken, … Da gehören Ent-täuschungen dazu. Denn sie sind das Ende der Täuschung (unserer eigenen Projektion auf den anderen) und der Beginn wahrer Nähe.

Für mich trifft dieser Ausspruch das besonders gut:

Freunde sehen zwar deinen kaputten Zaun,
doch sie bewundern dich für die Blumen in deinem Garten. 

Na ja, und wer weiß, vielleicht können wir einander auch dabei unterstützen, unsere Zäune niederzureissen und unsere Blumen noch schöner zum Erblühen zu bringen.

Im Idealfall helfen wir einander zu wachsen.

(Mai 2017)
Fotos: Andrea Bauer

Ich habe diese Geschichte absichtlich in der Wir-Form geschrieben, denn keiner von uns ist davor gefeit – jeder hat das schon mal erlebt und es ist ein sensibles Thema. Denn es ist um so vieles leichter sich als Opfer zu sehen, als Verantwortung für sein Tun, aber vor allem für sein Leben und dessen Gelingen zu übernehmen.

Ich denke jeder von uns kennt beide Seiten, die des (vermeintlichen) Verursachers und die des Geschichtenerzählers. Und ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du Freundschaften erlebst, die euch beide nähren und tragen.

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