„Sei dir bewusst, dass aus einem gewöhnlichen Stück Papier ein Liebesbrief wird, wenn ein Mensch seine Seele hineinlegt. Plötzlich werden die Worte lebendig. Plötzlich spürt man Verständnis, Mitgefühl und Güte eines anderen Menschen unter seinen Fingern.“ Das ist ein Zitat aus dem Umschlag des Buches „Wenn du diesen Brief findest ..“ von Hannah Brencher.
Hannah, eine junge Amerikanerin, ging nach dem College für ein Freiwilligen-Jahr nach New York. Doch die so verheißungsvolle Metropole, entpuppt sich nicht als ein Ort wo das Leben freudig pulsiert, sondern erschien ihr unpersönlich und voll von gestressten Menschen. Selbst ihre freiwillig geleistete Arbeit bei der UNO erfüllte sie nicht, und so kam es, dass diese junge Frau voll Tatendrang immer mehr in eine Sinnkrise geriet. Sie fühlte sich einsam und wurde letztendlich sogar depressiv.
Eines Tages auf ihrem Weg von Manhattan zurück zu ihrem Quartier in der Bronx, inmitten all der Fremden im Zug, die sich anschwiegen, fiel ihr eine Frau auf. Dieser Frau schein das Leben ziemlich mitgespielt zu haben. Da sie nicht wagte, sie anzusprechen, zog Hannah ihr Notizheft heraus und entschloss sich spontan, ihr einen Brief zu schreiben. Ob sie den Mut aufgebracht hätte, der Fremden diesen Brief zu geben, musste sie nicht, doch als sie mit dem Brief fertig war und wieder aufblickte, war die Frau bereits ausgestiegen.
Dieser Brief, war jedoch sowas wie ein Rettungsanker. Half er ihr doch ihre Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Kummer hin zu einem anderen Menschen zu lenken. Ab nun suchte sie sich immer wieder fremde Menschen aus, denen sie später Briefe schrieb – Briefe die ihr ein Gefühl von Verbundenheit gaben, auch wenn sie nur in ihrem Notizblock standen.
In diesen Briefen war es ihr möglich über ihre Einsamkeit, ihre Träume und Hoffnungen zu schreiben. In diesen Briefen machte sie den Menschen Mut, sich dem Leben zu stellen, nicht aufzugeben, auch wenn es gerade schwierig ist und etwas aus ihrem Leben zu machen.
Bald hatte sie eine ganze Reihe Briefe beisammen und einer Eingebung folgend, riss sie diese aus ihrem Notizblock, schrieb auf die zusammengefalteten Briefe „Wenn du diesen Brief findest, … dann ist er für dich“ und hinterließ sie auf U-Bahn-Sitzen, in Umkleidekabinen, in Waschräumen usw., manchmal ließ sie einen sogar bei der Garderobe in eine Manteltasche fallen.
Eine Idee mit Konsequenzen
Als sie in ihrem Blog eines Tages über diese Briefe berichtete und die Menschen einlud, sich zu melden, falls sie auch mal Bedarf an einem ‚Liebesbrief‘ hätten – geschah etwas, womit Hannah nie im Traum gerechnet hätte. Binnen einiger Tage kamen hunderte Emails mit der Bitte um einen persönlichen Brief – und so begann sie diese Bitte zu beantworten. Jeden Abend schrieb sie Briefe an ihr fremde und doch seltsam vertraute Menschen. Mit jedem dieser Briefe wurde das Gefühl von Einsamkeit und Sinnlosigkeit etwas leichter.
Doch nachdem sie etwa 400 Briefe geschrieben hatte und immer noch täglich neue Bitten um einen Liebesbrief hereinkamen, musste sie sich eingestehen, dass sie das allein niemals schaffen kann.
Und das war die Geburtsstunde der weltweiten Initiative „The World Needs More Love Letters“ mit über 25.000 Mitgliedern (Stand 2016). Auf ihrer Homepage www.moreloveletters.com können Menschen um einen Liebesbrief für sich selbst oder einen lieben Menschen in ihrer Umgebung bitten, der gerade eine schwierige Lebensphase durchmacht. Aber die Menschen können sich auch selbst als Liebesbriefschreiber engagieren.
Auf der Homepage werden auch regelmäßig ausgewählte Anfragen präsentiert. Ziel dieser Aktion ist es für einzelne Menschen sogar ganze Liebesbrief-Bündel zu generieren, mit Briefen aus aller Welt.
Und damit niemand zu Schaden kommt, gelange alle Briefe erstmal in ein Postfach und werden dann von Hannah und ihren Mitstreiter/innen gelesen. Sie wollen sicher zu gehen, dass nichts darin steht, dass die Empfängerin / den Empfänger verletzen könnte. Erst dann werden die Briefe als Liebesbriefbündel weitergeleitet.
Kannst du dir ausmalen, wie es ist, ein solches Liebesbriefbündel zu erhalten. Stell dir vor, du steckst gerade in einer schweren Lebenskrise und plötzlich erhältst du Dutzende Briefe aus aller Welt von dir fremden Menschen. Von Menschen die dir Mut machen wollen, die dir vielleicht auch ein wenig aus ihrem Leben erzählen oder dir einfach zu verstehen gehen, du bist wichtig, wir denken an dich und fühlen mit dir.
Worte können vielleicht nicht heilen, aber sie können in den Menschen ein Gefühl von ‚angenommen sein‘ erzeugen. Für jeden Menschen kommt der Tag, wo er einen guten Freund braucht. Ja, dann kann eine freundliche Geste eines Fremden Wunder wirken. Denn die Liebe heilt.
Außerdem kann man Briefe immer wieder lesen – immer dann, wenn man Trost braucht oder das Gefühl hat, mit seinen Sorgen mal wieder ganz allein dazustehen. Ein Brief nimmt dir die Last deines Lebens nicht ab, aber er kann dir Mut machen, nach einem Niederlage wieder aufzustehen und weiterzugehen – und so eines Tages gestärkt aus einer Krise hervorzugehen.
Wenn dir diese Art der Unterstützung gefällt und du gerne selbst aktiv werden und mithelfen willst, anderen Mut zu machen, dann los. Meines Wissens gibt es die Website nur auf Englisch, doch was sollte dich daran hindern selbst kleine Nachrichten, einem lieben Brief, ein paar aufmunternden Worten oder eine lustige Karte an öffentlichen Orten zu hinterlassen.
Worauf du beim Schreiben achten sollst, verrät dir Hannah in den „Start where you are“ auf ihrer Homepage bzw. in „The Art of Love Lettering“ ihrer offiziellem Anleitung zum Liebesbrief schreiben – leider nur auf Englisch. Deshalb hab ich weiter unten die Tipps zum Schreiben eines Love Letters an Fremde, die sie in ihrem Buch erwähnt, für dich zusammengefasst.
Wie kommt man auf eine solche Idee?
Briefe waren schon immer ein Teil von Hannahs Lebens, denn ihre Mutter, eine sehr herzliche und lebenskluge Frau, hinterließ überall kleine Zettel für Hannah. Oft fiel aus einem ihrer Schulbücher eine kleine aufmunternde Botschaft oder sie fand eine Nachricht, zwischen der Wäsche in ihrem Koffer, einen Spruch bei ihrem Pausenbrot, … – diese Briefchen, die ihr als Teenager oft lästig waren, gaben ihr doch immer auch ein Gefühl von Geborgenheit.
Außerdem gab es in ihrem College eine Tradition, genannt „Mandare“ (was soviel heißt wie „versenden“). Bei dieser Tradition ging es darum, Freunde und Verwandte der College-Studenten im Abschluss-Semester zu bitten, ihnen Briefe zu schreiben, in denen sie ihre guten Wünschen für die Zukunft formulierten. Diese Briefe wurden gesammelt und den Studenten dann kurz vor ihren Abschlussprüfungen als ‚Brief-Bündel‘ überreicht. Lauter Nachrichten von Menschen, die an sie glaubten, ihnen Erfolg und eine großartige Zukunft wünschten, ihnen Tipps gaben, was für sie funktioniert hat … – wie wunderbar.
Du kannst dir vielleicht vorstellen, was ein aufmunternder Brief schon bewirken kann, doch ein ganzes Bündel potenziert die Wirkung noch. Und so ist es wohl nicht verwunderlich, dass viele College-Absolventen diese Briefe ihr Leben lang wie einen Schatz hüten 😀
Das waren sicher die Samen, die in Hannah aufgingen und den Stein ins Rollen gebracht haben, der den Menschen dieser Welt ein so wunderbares Projekt der Nächstenliebe beschert hat.
Briefeschreiben leicht gemacht
Hannahs Empfehlung zum Schreiben eines Love Letters an einen fremden Menschen ist recht einfach. Sie geht davon aus, dass jeder von uns schon mal eine Ermutigung oder einen Tritt in den Hintern gebraucht hat.
Also empfiehlt sie, mach es dir bequem und überleg: „Welche Worte würde ich heute gerne lesen? Will ich aufgemuntert werden? Will ich herausgefordert werden?“ Und dann lass es fließen, beginn einfach zu schreiben, die Worte kommen dann von ganz allein.
Hab keine Angst ehrlich zu sein, schreib offen über deine Gefühle, erzähl Geschichten aus deinem Leben. Meist ist es viel leichter, einem Fremden in dieser anonymen, geschützten Atmosphäre etwas über dein Seelenleben zu erzählen, als face-to-face.
Und wenn der Brief fertig ist, schreib etwas drauf, wie „Wenn du diesen Brief findest, …. ist er für dich“ oder etwas ähnliches. Jetzt kannst du ihn in öffentlichen Verkehrsmitteln, Cafés, in Büchern aus der Bibliothek oder sonst wo hinterlassen, wo er gefunden werden kann.
Hab einfach Spaß dabei und geh davon aus, dass dein Brief schon den richtigen Empfänger findet. Manchmal vielleicht auf dem Umweg über ein paar Hände 😀
Wer mehr über Hannah und ihr wunderbares Briefprojekt wissen will, kann ja auf ihrer Homepage www.moreloveletters.com vorbeischauen. Dort findest du auch Anfragen für Liebesbriefbündel, die es sich lohnt zu lesen – zeigen sie doch, dass wir alle nur Menschen sind, jeder mit seinen ganz persönlichen Herausforderungen. Und es ist schön zu sehen, dass wir mit unseren Problemen nicht allein dastehen.
Vielleicht willst du aber auch mehr über Hannah und ihr Projekt lesen:
„Wenn du diesen Brief findest …“
von Hannah Brencher
ISBN 978-3-7934-2300-3
Und wer weiß, vielleicht findest du ja auch mal einen Love Letter irgendwo –
ich wünsch es dir 😀
(März 2017)