LISA EST und die Kunst – Zufälle zulassen

Lisa Est ist eine faszinierende Frau – stark, innovativ, kreativ – ein Freigeist mit viel Disziplin.
Eine Frau, die das Miteinander liebt und lebt, was sich in ihrem großen Netzwerk, ihrer Kunst und den vielen ’scheinbaren‘ Zufällen in ihrem Leben widerspiegelt.

Geboren wurde Lisa am 9.9.1952 in Wr. Neustadt. Sie verbrachte die ersten 20 Jahre ihres Lebens in Teesdorf, einem kleinen Ort in der Nähe von Baden, den die meisten nur aufgrund der Tatsache kennen, dass dort das Fahrtechnikzentrum des ÖAMTC ist. Nach dem Gymnasium in Baden, machte sie eine Banklehre „weil ich keine Ahnung von Geld hatte“, wie sie ausführt und gerade deshalb den Umgang mit Geld lernen wollte. Doch bald wurde es ihr im heimatlichen Teesdorf zu eng. Das ‚Mensch‘ (NÖ-Mundart für Mädchen) wollte in die Stadt, die Großstadt. So übersiedelte sie 1972 nach Wien, wo sie seither lebt und arbeitet.

Ihre frühen Jahre

Wie sie erzählt, war ihr schon früh klar, dass „ich eine Künstlerin bin“.  Doch bis sie wirklich ihre Berufung leben kann, sollten noch viele Jahre vergehen. Doch alles der Reihe nach.

Als Lisa mit 20 nach Wien ging, war sie bereits verheiratet und hatte einen kleinen Sohn.

Sie fand rasch Anschluss und fühlte sich von Anfang an in der Großstadt wohl.

Hier konnte sie der Mensch (oder soll ich besser sagen, das Mensch) sein, der sie sein wollte. Sie wollte Kunstgeschichte studieren, besuchte den Abendakt bei Fritz Martinz in der Künstlerischen Volkshochschule, jobte.

Es waren die Siebziger, die Zeit der Arena. Die Jugend nahm ihr Leben selbst in die Hand – alles schien möglich.

Als ihr Sohn 3 Jahre alt war, gab sie ihn in einen katholischen Kindergarten. Doch schnell war klar:  „so geht das nicht“. Ihr Kind morgens in der Garderobe abzugeben und abends von dort wieder zu holen, ohne an seinem Tagesgeschehen beteiligt zu sein und mitzuentscheiden welche Werte ihm vermittelt wurden, war nicht ihr Ding. Über Freunde wurde sie auf eine Podiumsdiskussion in der Arena zum Thema alternative Kinderkrippen aufmerksam, lernte gleichgesinnte Eltern kennen und bald war klar: „Wir machen selber was“. Und so geschah es. Zusammen gründeten sie einen Kinderladen – eine selbstverwaltete Kindergruppe nach dem Vorbild der Berliner Kinderläden.

Alternative Kindererziehung

Der Kinderladen – eine Privatinitiative engagierter Eltern, die eigene Vorstellungen hatten, wie ihre Kinder erzogen werden sollten und bereit waren selbst mitanzupacken. In der großen Wohnung einer der Mütter, einer Stewardess, tummelten sich bald 15 Kleinkinder (davon 12 im Alter von 10 Monaten bis 1,5 Jahre, die noch gewickelt werden mussten). Betreut wurden sie von einer bezahlten Kindergärtnerin sowie zwei „Elternteilen“. Die Kosten übernahmen die Eltern, ebenso Hilfsarbeiten, wie Kochen, Putzen, etc.

Bald wurde es zu chaotisch in der Wohnung und man suchte geeignetere Räume. Vorübergehend übersiedelte man in ein Abbruchhaus am Wildpretmarkt, in dem, wie Lisa später erfuhr, auch die Musiker der EAV probten. Bis sie schließlich in einem ehemaligen Privatkindergarten in der Anastasias Grün Gasse das perfekte Domizil für den Kinderladen fanden.

In der Zwischenzeit wuchs Lisas Sohn und sie musste sich allmählich über eine geeignete Schule Gedanken machen. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter wurde ein Jahr lang diskutiert, wie denn eine selbstverwaltete Schule aussehen sollte, bis es 1977 soweit war. Der ‚Verein für emanzipatorische Erziehung‘ wurde gegründet, mit Lisa als einem der Gründungsmitglieder.

1978 ging die erste Alternativschule Österreichs in Betrieb. 15 Kinder wurden von 2 Lehrern unterrichtet und wieder brachten sich die Eltern voll ein. Die Schule, die erst im Amerlinghaus untergebracht war, übersiedelte bald in die Rembrandtstraße, später in die Gassergasse, ehe sie ihr endgültiges Heim in der Hofmühlgasse fand. Es gibt sie übrigens heute noch unter dem Namen Ätsch – zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben für die Älteste tolle Schule Wiens.

Über dieses Schulprojekt lernte sie auch die Künstlerin Linde Waber kennen und es entwickelte sich eine Freundschaft, die Lisas Künstlerleben noch stark beeinflussen sollte.

Für Lisa war immer klar, wenn was nicht passt, geh weg oder ändere was:

Nicht jammern, handeln. 

Doch wie lief es in dieser Zeit in ihrem privaten Leben?

Sie stand voll im Leben, war mittlerweile geschieden, aktiv in der Kindergruppe und Schulgründung und jobte. In dieser Zeit verdiente sie ihr Geld mit diversen Gelegenheitsjobs, führte Kleider vor, sie lernte restaurieren, zeichnete und verkaufte auch einige ihrer Zeichnungen. Später hatte sie einen 30 Stundenjob in einem Ambulatorium, denn sie musste ja auch noch die wöchentlichen Besprechungen für die Schulgründung bzw. den Schuldienst, wie Kochen und Putzen unterbringen.

Lisa erinnert sich gern an diese Zeit, in der sie viele interessante Leute kennenlernte, darunter auch Linde Waber, die für ihre spätere künstlerische Laufbahn noch von großer Bedeutung werden sollte. Es war eine intensive Zeit.  „Wenn ich zurückdenke, verging kein Jahr in dem ich nicht jeden Sommer irgendwo neue Räumlichkeiten hergerichtet, Böden abgeschliffen …. hätte. Urlaub gab’s nicht.“ Sie fungierte als Kassiererin für die Schule, organisierte Benefizaktionen wie ihre legendären Faschingsfeste, mit deren Eintritt wieder Anschaffungen für den Schulbetrieb finanziert werden konnten.

Das praxisbezogene Lernmaterial für die Schule wurde von Lehrern und Schülern selbst hergestellt. Es entstand auch jedes Jahr ein Theaterstück, das zu Schulschluss uraufgeführt wurde. Tanz, Musik und Kreativität waren ebenso wichtige Bestandteile des Unterrichts wie angewandte Mathematik und vieles mehr.

Mit 30 der große Wechsel

Mit 30 wurde Lisa wieder schwanger, mit Zwillingen. Sie heiratete ihren jetzigen Mann 10 Tage vor der Geburt der Kinder, wieder in schwarzen Samt, wie bei der ersten Eheschließung.

Warum in schwarz?

„Weiße Hochzeitskleider erscheinen mir immer wie Opfergewänder“ und Opfer war sie nun wirklich keines. Da erschien ihr schwarz schon passender, auch wenn ihre Umgebung das teils anders sah.

Sie übersiedelte in den 23. Bezirk und fand auch hier rasch Freunde. Sie baute gemeinsam mit ihrem Mann das Haus um und aus, liebte ihren Garten, den sie liebevoll „meinen Urwald“ nennt und arbeitete in der Praxis ihres Mannes mit.

Neben Familie, Haus, Garten und Beruf blieb so gut wie keine Zeit mehr für ihre künstlerischen Aktivitäten – diese beschränken sich auf Sommerakademien bei Karl Korab und Gerhard Gutruf.

Die Kunst ruft

Doch der innere Drang ‚Kunst zu schaffen‘ ließ sich auf Dauer nicht verleugnen. Lisa begann regelmäßig zu zeichnen, ab ihrem 40. Lebensjahr täglich.

1997 lud ihre Freundin, die damals schon sehr bekannte Künstlerin Linde Waber sie ein, bei ihrer Sommerakademie in Zwettl mitzumachen. Zu dieser Zeit war ihr Selbstvertrauen in Bezug auf ihre Kunst auf dem Nullpunkt. Doch Linde Waber erkannte ihr Potential, lobte und förderte sie, doch sie forderte sie auch – führte sie zu mehr, drängte sie dranzubleiben.

Sommerakademie in Zwettl (Foto ©Gunter Breckner)

1997 dann auch die erste Ausstellungsbeteiligung in Bern. Es folgten mehrere Beteiligungen an Ausstellungen im Aktionsradius. Lisa zeichnete weiter, zuerst in Kohle, später auch mit Pastellkreide, lernte durch Linde Waber den Holzschnitt kennen.

Sie nahm auch an den internationalen Künstlersymposien von Linde Waber in Zwettl teil – wo sie mit japanischen, chinesischen und omanischen Künstlern arbeitete – viele der Kontakte aus dieser Zeit bestehen heute noch.

Über Linde Waber lernte sie auch Heinrich Heuer kennen, einen großartigen Druckgrafiker, der ihr 2001 half ihre erste Einzelausstellung vorzubereiten und zu hängen. „Von ihm hab ich viel gelernt“ sagt sie. Selbst hat sie erst vor 3 Jahren die Druckgrafik als künstlerisches Medium für sich entdeckt, genauer gesagt die Algraphie. Seither entstehen auch hier Serien wie ‚Carpe Diem‘ …

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Von nun an stellte sie regelmäßig aus, knüpfte weiter Kontakte, schloss sich Künstlergruppen an, war und ist aktiv in Kunstvereinen tätig, wie zum Beispiel bei Intakt (internationale Aktionsgemeinschaft Bildender Künstlerinnen).

In ihrer Kunst geht es wie in ihrem Leben um Begegnungen – das Ich in Beziehung zu …

Ihr Atelier in der Pfeilgasse, das sie seit 2001 hat, ist ein richtiger Wohlfühlort, der Lisas reiche Innenwelt widerspiegelt:

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Das Projekt ‚Neun-Neun‘

2008 startete sie dann ihr Projekt „Neun-Neun“ – über 9 Monate sollen täglich 9 Zeichnungen entstehen.

Jeden Tag setzte sie sich hin, mit 9 Blättern, einer Uhr und etlichen gespitzten Bleistiften.

Anfangs gab sie sich 30 min Zeit dafür, doch rasch merkte sie, dass je mehr Zeit sie hatte, desto mehr verlor sie sich in Details, wurde zu kompliziert – also verkürzte sie die Arbeitszeit auf 9 min. Und sie zog es durch, mit viel Disziplin.

In den 9 Monaten entstanden so insgesamt 2.466 kleinformatige Zeichnungen, die sie regelmäßig einscannte. Was sie damit tun sollte, war ihr selbst nicht klar. Trotzdem war sie stolz, es durchgezogen zu haben.

Bei einem Sommerfest bei Linde Waber kam sie mit Martin Anibas ins Gespräch, einem Filmemacher, den sie vor Jahren bei einem Workshop bei Linde kennengelernt hatte. Als er sie nach ihrer Kunst fragte, erzählte sie ihm von dem Projekt Neun-Neun und er meinte: „schick mir mal die Arbeiten“ – was sie auch tat.

Lisa und die Kurzfilme

Martin Anibas meldete sich erst im Oktober, also 2 Monate später wieder. Doch womit Lisa nicht im Traum gerechnet hätte, er schickte ihr eine DVD mit den Worten „Dein neuer Film – Uraufführung in Zwettl“.

Anibas hatte die 2.466 Zeichnungen zu einem Kurzfilm von 6,5 min zusammengefasst, der unter dem Titel „Neun-Neun“ 2009 in Zwettl uraufgeführt wurde. Die Premiere war für Lisa eine ganz neue und spannende Erfahrung, hatte sie bis dahin doch mit der Filmwelt nichts am Hut.

Anibas war es auch, der Lisa ermutigte auf diesem Gebiet weiterzumachen. Sie stellte sich der Herausforderung und so entsteht seit 2009 jedes Jahr ein neuer Kurzfilm, gezeichnet von Lisa Est.

2010 Anlässlich des großen Retrospektive zu Linde Wabers 70. Geburtstag wurde der Film „Neun-Neun“ neben anderen auch bei einem Filmabend im Leopoldmuseum gezeigt, ein weiterer Erfolg.

2011 folgte ein weiteres Highlight: Lisas Film The Scarlet Experience (2010, 3,33 min) wurde beim Tricky Woman Festival gezeigt, dem wohl bedeutendsten feministischen Trickfilmfestival in unseren Breiten.

Ich persönlich mag ihren Film „SIE“ sehr:

Möglich ist das alles nur durch die Unterstützung vieler großartiger Menschen, die ebenso wie Lisa gerne mithelfen, Projekte auf die Beine zu stellen 😀

Lisa und die Texte

Seit vielen Jahren sammelt Lisa Schlagzeilen – witzige und kuriose Headlines. Es faszinierte sie, was alles als Schlagzeile verkauft wird. Aus diesen Fundstücken entstanden und entstehen immer wieder neue Kreationen. Sie werden in Lisas Filmen ebenso verwendet wie in ihren Bildern, finden sich auf Möbeln und wie Blumen in Gläsern arrangiert zuhauf in ihrem Atelier in der Pfeilgasse.

Ja, Sprache ist Lisa sehr wichtig. So finden sich Zitate, Bücher und Texte überall in ihrem Umfeld. Besonders die Werke von Peter Handke haben es ihr angetan, ihn zitiert sie häufig.

So etwa wenn sie einen Ausspruch von Peter Handke frei auf sich ummünzt und sagt:

„Ich arbeite nur wenn ich künstlerisch tätig bin,
sonst erledige ich Dinge.“

Doch sie verfasst auch selbst Texte zu ihren Arbeiten. Hier findest du ein paar Beispiele:

Aktuelle Kunstprojekte

Zur Zeit arbeitet Lisa an ca. 12 Projekten.

Neben dem neuen Film, sind Beteiligungen an Ausstellungen in Wien, Tokio und Rheinland-Pfalz geplant, ein Katalog ist in Vorbereitung u.v.m.

Derzeit entstehen neben Zeichnungen auch vermehrt Druckgrafiken und Objekte, wie die ‚Medialen Göttinnen‘ – aus Zeitungspapier gestrickte Frauenfiguren, nach dem Vorbild des Vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci.

Lisa aus meiner Sicht:

Über Lisa ließe sich noch so viel sagen. Ihr Leben war und ist reich – an Erfahrungen, an Begegnungen, an schicksalhaften Zufällen, …

Doch ohne Disziplin und Mut, wäre sie heute nicht dort, wo sie steht, denn

Zufälle muss man zulassen können. 

Lisa ist jemand an dem man nicht vorbeigeht – sie ist präsent, einfach da – unaufdringlich und ungemein sympathisch. Es macht einfach Spaß mit ihr zu reden, denn sie hat was zu sagen.

Als Künstlerin ist sie ungemein kreativ und produktiv – authentisch, witzig und tiefsinnig zugleich.
Sie ist kompromißlos, eigensinnig und auf wunderbare Weise SIE SELBST – oder wie sie es ausdrückt:

… meine Sturheit in Bezug auf „Erleichterungen“ „Techniken“
es kann doch für mich nur meine eigene, durch mich gefundene Technik geben

… das „ganz meine“
das „ganz bei mir bleiben“
ist mir wichtiger als perfekte Technik

Lisas Kunst – die Fakts

Lisas Homepage: www.lisa-est.at

Als Künstlerin Autodidaktin.
Schwerpunkt Zeichnung, sowie Objekte, Installationen und Druckgrafik.

Zahlreiche Arbeiten in Privatsammlungen, Veröffentlichungen in Anthologien.

Mitglied von art.P, Intakt (internationale Aktionsgemeinschaft Bildender Künstlerinnen) und von BlaugelbeZwettl.

Serien: 

„Neun-Neun“ / Arbeiten auf Papier (2009)
„RASTER 2018“
„HAUT“
„EIN-ANDER“
„IN HOMO GEN“
„OVERCODE“
„Carpe diem“
„Stadt-Mensch“ (wobei sich das ‚Mensch‘ auf das Mädchen bezieht)
„Mediale Göttinnen“

Kurzfilme:

Bastille / 2017 (4:50 min)
Du!Du! / 2015 (2,15 min)
Sie / 2014 (2,46 min)
shortEST stories / 2013 (99 sec)
famiLIES / 2012 (3,33 min)
[NO]MAN’S PARADISE / 2011 (3,33 min)
The Scarlet Experience / 2010 (3,33 min)

Kurzfilm Neun-Neun
Lisa Est, Animation Martin Anibas, 2009

Internationale Ausstellungen und Preise

Besonders gefreut hat sich Lisa neben den Erfolgen mit ihren Kurzfilmen über den 1. Platz in der Kategorie Grafik, den sie 2013 beim internationalen Künstlersymposium „Atelier an der Donau“ in Pöchlarn gewann. Sie hat auch 2015 an diesem Künstlersymposium teilgenommen.

Überhaupt ist ihr Internationalität sehr wichtig, so war es auch eine große Einzelausstellung 2014 in der Galerie des Museums in Hustopece in Tschechien, die unter dem Titel „EST a FEST“ lief, die ihr besonders in Erinnerung geblieben ist, ebenso wie ihre 3 Ausstellungsbeteiligungen in Paris.

Doch auch in anderen Ländern waren ihre Arbeiten bereits zu sehen, so gab es Ausstellungsbeteiligungen in Deutschland, Slowakei (Bratislava) und Frankreich (Paris).


(November 2019)
Artikel und Atelierfotos: ©Andrea Bauer
Portraitfotos und Werkfotos: ©Lisa Est

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