Irene macht’s mit links

„Ab morgen bin ich Linkshänderin“, geht das? Irene macht’s.

Irene interessiert sich seit längerem für persönliche Weiterentwicklung und so kam es, dass sie nach einem NLP-Seminar einfach über Nacht beschloss „ab morgen bin ich Linkshänderin“ und sofort versucht hat, das so konsequent wie möglich durchzuziehen.
Das hat dazu geführt, dass sich ihre feinmotorischen Fähigkeiten mit der linken Hand enorm verbessert haben. Zähne putzen, frisieren und schreiben geht auch mit links mittlerweile schon richtig gut. Im Moment ist sie gerade dabei mit der linken Hand SMS schreiben zu üben.

Auch sonst macht Irene viele gewohnte Dinge anders rum.

Aus der Komfortzone ausbrechen, so oft wie möglich, diese Idee von Roman Braun, einem bekannten NLP-Trainer, gefiel Irene und so hat sie es sich angewöhnt viele gewohnheitsmäßige Abläufe immer wieder zu verändern. Und dafür gibt es unzählige Möglichkeiten.
Hier verrät uns Irene ein paar Dinge, die sie anders macht als gewohnt: „Zum Beispiel Kleinigkeiten wie mal nicht den Käse kaufen, den ich meistens kaufe, sondern einen anderen oder wieder mal ein Nahrungsmittel probieren, das ich ewig nicht gegessen habe, weil es mir damals nicht geschmeckt hat.“ Was sie noch anders macht, z.Bsp. mal Sushi mit Stäbchen essen, auch wenn es anfangs ewig dauert bis es klappt u.v.m.

Doch am konsequentesten ist sie, wenn es darum geht Handlungen, die sie normalerweise mit der rechten Hand ausführt hat, mit links zu machen. Anfangs fühlte sich das noch sehr ungewohnt an, doch Irene wiederholte es so lange, bis sie sich auch dabei wohl fühlte. Es wurde eine Art spielerische Herausforderung, und manches fühlt sich heute links sogar stimmiger an als rechts.

Da feinmotorische Tätigkeiten normalerweise über viele Jahre und Jahrzehnte fast ausschließlich mit der dominanten (meist rechten) Hand geübt werde, ist es anfangs oft ziemlich schwierig alltägliche Tätigkeiten mit links auszuführen, wie Zähne putzen oder schreiben. Doch mit jedem Mal wird es ein wenig einfacher, runder. Auch Irenes Schriftbild veränderte sich von lesbar aber krakelig zu einer eher kindlich anmutende aber gut leserliche Form und allmählich zu einer flüssige persönliche Handschrift – nur eben mit links ausgeführt.

Worum es Irene dabei geht

Es geht nicht um irgendetwas Produktives, sondern um Lebendigkeit. Es geht für Irene darum, die Grenzen im Kopf wegzukriegen und vielleicht andere Leute dazu zu motivieren, mitzumachen, weil es so wenig braucht und im Endeffekt trotzdem etwas bewirkt, wenn man „dranleibt“. Dass es eben wirklich ums „Tun“ geht.

Und so beweist sie uns tagtäglich, dass man den persönlichen Wohlfühlbereiche immer weiter ausweiten kann, dass (fast) alles möglich ist und man immer die Wahl hat. Und es auf diese Weise ganz einfach ist mehr Achtsamkeit in Leben zu bringen und Grenzenlosigkeit zu erfahren und zwar immer wieder.

Oft glauben wir nur etwas nicht zu können, weil wir es einmal versucht haben und das Ergebnis erbärmlich war, eben weil wir diese Fähigkeit bisher noch nicht entwickelt hatten. Doch was wäre gewesen, wenn wir es wieder und wieder versucht hätten, wenn wir drangeblieben wären? Genau das will Irene wissen – sie geht in die Tiefe und lotet aus, bis sie auf Grenzen stösst und dann schaut sie, inwieweit diese veränderbar sind.

Am deutlichsten erkennbar wird das wohl bei diesem Tip von ihr: „Ich spreche auf der Straße bei der Straßenbahnhaltestelle, in der Kassenschlange etc… jemanden an, den ich eigentlich nie und nimmer würde ansprechen wollen. Da habe ich schon einige Überraschungen, in den sich daraus ergebenden Gesprächen, erlebt.“ Das find ich einfach genial, weil es einen mit den eigenen Vorurteilen konfrontiert und die Möglichkeit eröffnet, aus dem Schubladen-Denken raus zu kommen.

Warum gerade Linkshändigkeit?

Irene hat seit ihrer Kindheit eine Affinität für Linkshändigkeit. Da sie selbst Rechtshänderin ist, faszinierte es sie einfach – Linkshänder erschienen ihr irgendwie speziell, als etwas besonderes. Schon in der Schulzeit, als sie für einige Zeit einen Gips auf der rechten Hand hatte, machte sie erste Versuche mit der linken Hand zu schreiben und es stellte fest, es ging, wenn auch mühsam. Doch das einzige was sie vor diesem Projekt immer mit links machte, war Flaschen öffnen.

Und heute? Aber lassen wir Irene selbst erzählen: „Ich greife nach Gegenständen mit links, manchmal schon automatisch – wenn ich das bemerke, freue ich mich. Ich schäle und reibe Obst und Gemüse mit links, ich presse Zitronen mit links, ich schwinge den Kochlöffel mit links. Ich habe (das allerdings wirklich schon vor Jahren) das Klatschen umgestellt, also daß die linke Hand oben ist und die rechte unten. Ich bediene Geräte mit links, ich sauge den Staub mit links (außer, ich bin im Streß und schummle), ich kehre mit links und räume das Katzenkistl mit links.“

Natürlich gibt es auch hier noch genug Lernpotential. So hat sie 2 Bereiche bisher noch völlig ausgelassen, das Schminken und das Schneiden (mit Messer oder Schere). Doch ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch diese Hürden nimmt – mit links, wie so vieles andere in ihrem Leben.

Und weil es darum geht, alles anders zu machen als gewohnt, öffnet sie Flaschen jetzt konsequenterweise mit rechts ;D

Was mich fasziniert

Ich finde die Grundidee, Handlungen und Tätigkeiten immer wieder anders zu machen, genial. Weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie schon kleine Veränderungen das Lebensgefühl verändern können. Man fühlt sich gleich lebendiger, obwohl man nur einen anderen Weg zur Arbeit genommen hat, oder ein Geschäft besucht, an dem man bisher nur vorbeiging, sich mit seiner besten Freundin mal zum Frühstück anstatt wie üblich abends zu treffen – die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Und es ist so einfach mehr Lebendigkeit in den Alltag zu bringen. Vor allem die Gleitzeit bietet Menschen, die in Büros tätig sind eine Vielzahl von Möglichkeiten. So könnte man ja mal die Mittagspause ausdehnen und in eine Ausstellung gehen u.v.m.

Doch mich fasziniert auch die Konsequenz, mit der Irene ihr kleines Projekt durchzieht und immer weiter ausdehnt. Dass sie seit einem Jahr (fast) alles mit links macht, einfach weil es ihr Spass macht und sie herauszufinden will, was alles möglich ist. Und sie ist richtig gut darin, wie ich mich bei einem kleinen Schreibexperiment überzeugen konnte.

Manchmal fällt es ihr jedoch auf, dass sie wieder die rechte Hand verwendet. Das passiert vor allem dann, wenn sie Stress hat. In diesem Fall wechselt sie wieder ganz bewusst zur linken Hand – weil es langsamer geht und mehr Aufmerksamkeit erfordert. Auf diese Weise holt sie sich auch gleich wieder ins Jetzt zurück.

Auf den ersten Blick erscheint diese Methode simpel, doch sie ist äußerst effektiv. Denn jede Veränderung birgt ein kleines Abenteuer und genau diese kleinen Abenteuer des Alltags sind es, die unser Leben schlagartig wieder lebenswerter und aufregender machen. Sie katapultieren uns aus unserer Komfortzone raus und bringen was in Bewegung. Angeregt durch diese Impulse erhöht unser Gehirn die Ausschüttung von Glückshormonen und das gibt dann, quasi als Belohnung, gute Gefühle.

Diese Methode hilft uns aber auch auf spielerische Art Selbstvertrauen aufzubauen. Sobald wir verinnerlichen, das Konsequenz, also das Dranbleiben an einer Sache die uns wichtig ist, immer Erfolge nach sich zieht, wächst unser Vertrauen in uns, unser Zutrauen auch größere Veränderungen zu schaffen und wir werden frei. Also ausprobieren, Spaß haben und nicht gleich denken „Das geht nicht!“ oder „Das schaff ich nie.“ sonder einfach versuchen bis es klappt !

Und manchmal fühlt sich das ‚Neue‘ sogar richtig gut an, oder gar stimmiger.
Es gibt übrigens ein wunderschönes Gedicht von Jelaluddin Rumi, das hier wunderbar passt, page3image1818400 wurden ja viele Linkshänder in der Schule auf die „richtige“ Hand umtrainiert.

Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort, dort treffen wir uns.

 

(2015 Oktober)
Text und Foto: Andrea Bauer

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